Ich weiß nicht, wie Danny es geschafft hatte, sich unbemerkt an den Polizisten vorbeizuschleichen.
Doch da saß er nun am Steuer des Streifenwagens.
Mit einem breiten Grinsen schaute er zu mir auf die Rückbank.
„Fahr los, verdammt, fahr los!“, schrie ich.
Danny fackelte nicht lange, drehte den von den Beamten stecken gelassenen Schlüssel um und trat aufs Gas.
Der Ruck beim Anfahren warf mich in den Sitz zurück.
Als ich mich nach einigen Metern gesammelt hatte, drehte ich mich um.
Ich sah gerade noch die zwei Uniformierten, die versuchten, den Wagen einzuholen.
Dann blieben sie stehen und forderten über Funk Verstärkung an.
Es würde nicht lange dauern, bis man uns mit einem gestohlenen Streifenwagen erwischen würde, dachte ich.
Wir hätten uns genauso gut einen riesigen roten Pfeil auf das Dach montieren können.
„Und was ist ist jetzt dein Plan?“, wollte ich von Danny wissen, der voller Euphorie in sich hinein lachte.
„Wir fahren zum Meer. Wir steigen nicht aus, bevor wir da sind.“
„Die werden die Straßen blockieren, vielleicht sogar einen Hubschrauber dazuholen.“
„Im Moment sind wir denen voraus. Die wissen doch gar nicht, wohin wir fahren.“
„Wir sitzen in einem Bullenwagen, die werden das Ding schon irgendwie orten können.“
„Sollen sie doch. Wir fahren einfach schneller als die.“
„Das war dumm von dir.“
„Du wolltest, dass ich losfahre.“
„Ich dachte, du hättest einen Plan.“
„Wie lange kennen wir uns schon? Ich kenne Wege, die die nicht kennen. Vertrau mir, alter Freund.“
„Das habe ich schon viel zu oft.“
Während wir uns unterhielten, sauste die Landschaft ans uns vorbei.
Danny bretterte mit mindestens 200 Sachen über die leere Landstraße.
Zum Glück waren die Pendler schon zu Hause.
Irgendwo in der Ferne glaubte ich, Sirenen zu hören.
Sehen konnte ich sie aber nicht.
Dennoch durfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die uns eingeholt hatten.
Danny schien das nicht zu interessieren.
Sein Blick war stur geradeaus gerichtet.
Mit Vollgas ging es voran.
Wir befanden uns irgendwo auf dem Land.
Ich gab mich meinem Schicksal hin und ließ es passieren.
Nach einer Weile tauchte in der Ferne eine Tankstelle auf.
Ich bemerkte eine Veränderung in Dannys Blick.
Ehe ich verstanden hatte, was er vorhatte, riss er das Steuer nach links und bretterte in die Einfahrt der Tanke.
Mit Adleraugen scannte er die Szene, wurde fündig, drehte sich zu mir um und sah mich mit einem wahnsinnigen Blick an.
„Siehst du den schwarzen BMW?“
„Ja, was ist damit?“
„Den schnappen wir uns. Der Fahrer ist gerade rein. Wenn er wieder rauskommt, hau ich ihn um, nehm den Schlüssel und wir fahren davon. Das ist ein altes Modell ohne technischen Schnickschnack. Also los.“
Für einen Einwand blieb keine Zeit.
Danny war schon aus dem Auto gestiegen.
Den Schlüssel des Polizeiwagens hatte er mit sich genommen.
Ich folgte ihm, so schnell ich konnte.
Ich sah nur, wie der arme Kerl zu Boden ging und hörte Danny brüllen: „Los, los, los!“.
Ich sprintete zum Wagen, er war noch offen.
Ich riß die Beifahrertür auf und ließ mich in den Sitz fallen.
Eine Sekunde später waren wir wieder auf der Straße.
In rasantem Tempo ging es vorwärts.
Danny nahm mehrere Abzweigungen, fuhr durch Dörfer und mied die Hauptstraße.
Seltsamerweise waren wir immer noch keiner Polizeistreife begegnet.
Auch wenn die uns nun mit Sicherheit mit allen verfügbaren Mitteln verfolgen würden.
Die meiste Zeit schwiegen wir.
Die Motorengeräusche sagten alles, was es zu sagen gab.
Langsam erkannte ich die Namen der Ortsschilder wieder.
Wir waren noch einige Stunden vom Meer entfernt.
Danny wollte die Nacht durchfahren.
Und dann?
Scheißegal.
Immer weiter, weiter, weiter.
Die Straßen waren so gut wie leer.
Hinter jeder Ecke vermutete ich eine Straßensperre oder eine Streife, die unsere Reise zufällig beenden würde.
Doch wir schafften es unentdeckt durch die Nacht.
Gegen halb 6 wurde es langsam hell.
Das Meer rückte endlich in greifbare Nähe.
Plötzlich kam hinter uns ein Streifenwagen angeschossen.
„Fahr, verdammt, fahr!“, schrie ich Danny an.
Er holte nochmal alles aus dem alten BMW heraus.
Ich ließ das Fenster herunter.
Man konnte das Meer jetzt riechen.
„Keine Sorgen, wir schaffen es“, versicherte mir Danny, „gleich da!“.
Inzwischen waren zwei weitere Streifenwagen zu unseren Verfolgern dazugestoßen.
Wir fuhren in einen der kleinen Strandorte ein und heizten durch die Bilderbuchstraßen.
Nur noch wenige hundert Meter trennten uns vom Meer.
Wir konnten jetzt nicht aufgeben.
Nach der letzten Kurve sahen wir das blaue Wasser vor uns.
Danny hielt schnurstracks auf die Strandpromenade zu. „Festhalten!“
Wir rasten über die Flaniermeile, nahmen ein paar Stühle einer Eisdiele mit und durchbrachen dann das Geländer.
Im nächsten Moment flogen wir über die Mauer und krachten mit einem dumpfen Schlag auf den Sand.
Dabei musste die Achse gebrochen sein, denn nach einem letzten Aufheulen versagte der Motor.
Danny sah mich an, ich wusste Bescheid.
Tür auf, raus und los.
Auf dem Weg zum Meer streiften wir ein Kleidungsstück nach dem anderen ab.
Einige Meter hinter uns rannten 5 oder 6 Polizisten in voller Uniform und brüllten, dass wir stehenbleiben sollen.
Wir dachten nicht daran.
Nackt stürzten wir in die Fluten und schwammen los.
Nachdem wir gut 20 Meter hinaus ins Meer geschwommen waren, drehte ich mich um.
Die Polizisten standen jetzt am Ufer, schrien und gestikulierten.
Wahrscheinlich hatten sie bereits die Wasserpolizei verständigt.
Danny schwamm weiter.
„Wo willst du hin?“, rief ich ihm hinterher.
Erst jetzt drehte er sich zu mir um.
„Jungs wie wir werden nicht erwachsen.“
„Was soll das heißen?“
Danny sah mich mit einem bedeutungsvollen Blick an, bevor er sich abwandte und weiterschwamm.
Nach einigen Metern tauchte er unter.
Ich blieb, wo ich war, sah auf auf die Stelle und hoffte, er würde wieder auftauchen.
Doch ich hatte so ein Gefühl.
Ein Blick zurück verriet mir, dass es an der Zeit für eine Entscheidung war.
Noch einen kurzen Moment wartete ich ab, ob Danny nicht doch wieder auftauchen würde.
Als er es nicht tat, schwamm ich zurück zum Strand.