Ich habe vier der sechs Biere, die ich vor einer Stunde gekauft hatte, bereits getrunken. Ich saß oben auf dem Hügel, der die Stadt überblickt und zählte die orangenen Lichter hinter den Fenstern, die noch nicht erloschen waren. Anstatt an die Menschen zu denken, die in diesen Häusern wohnten, fragte ich mich, woher ich jetzt noch Biernachschub bekommen sollte. Plötzlich hörte ich Schritte. Es näherte sich jemand von hinten. Wahrscheinlich nur die Polizei, die mir ein Bußgeld aufdrücken will, dachte ich. Immerhin dürfte ich jetzt gar nicht mehr hier sein. Ich genoss die letzten Momente der Einsamkeit, bis die Schritte direkt neben mir verstummten. „Hey“, vernahm ich zu meiner großen Verwunderung eine mir nur zu gut bekannte Stimme.
„Danny?“, rief ich voller Erstaunen.
„Ja, ich bin’s. Ich hab dir Bier mitgebracht.“
„Danny, Alter, ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.“
„Tja, mein Freund, ich glaube, so einfach ist das nicht.“
„Aber wie bist du zurückgekommen?“
„Der Mond hat mich hergebracht…“
„Tatsächlich, es ist wieder Vollmond! Danny, bei aller Liebe, du solltest nicht hier sein.“
„Du auch nicht, das nennt man Schicksal, befürchte ich.“
„Dann können wir nicht ohne einander?“
„Richtig! Jetzt lass uns erst mal ein Bier trinken.“
Ich reichte Danny ein Bier. Wir tranken schweigend. Ich wusste nicht, was ich von seinem plötzlichen Auftauchen halten sollte. Da er nun aber hier war, konnte ich ihm gleich von dem seltsamen Traum erzählen, den ich in letzter Zeit immer wieder gehabt hatte.
„Danny, ich habe von dir geträumt. Fast jede Nacht. Der Traum hat sich mittlerweile in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich muss dir davon erzählen.
„Schieß los!“
„Ich stehe vor einer Tür. Mit einem Mal öffnet sie sich mit einem leisen Piepen. Ich betrete ein unscheinbares Zimmer und sehe mich um. Der Raum ist komplett leer, das heißt, abgesehen von drei Stühlen in der Mitte. Zwei von ihnen sind bereits belegt. Auf dem hintersten sitzt der Sensenmann, der Platz neben ihm in der Mitte ist frei und auf dem Stuhl direkt vor mir sitzt du. Ihr beide würdigt mich keines Blickes, sondern starrt unbehelligt geradeaus, wo eure Augen sich in der weißen Wand verlieren. Ich laufe hinter dir vorbei und setze mich zwischen euch. Eine Sekunde später haftet auch mein Blick an der Wand. Nach einer Weile unterbrichst du die Stille mit einer komischen Frage: „Wie lange kann ich diese weiße Wand anstarren, bevor sie ihren Ton verändert? In ein weißeres Weiß oder aschfarbiges Schwarz?“ Für einen Moment sehen der Sensenmann und ich zu dir rüber. Eine Antwort aber kommt uns nicht über die Lippen. Also starren wir weiter, hoffend, dass wir bald die Pointe dieser witzlosen Komödie verstehen. Aber es fühlt sich endlos an. Irgendwann wache ich auf und bin total gerädert…“
„Das war kein Traum. Ich war dabei.“
„Du warst in meinem Traum, aber nicht physisch da. Es war nicht real, verstehst du?“
„Was glaubst du, wo ich die ganze Zeit gewesen bin?“
„Aber wie?“
„Wir leben in einer merkwürdigen Zeit…“
„Danny?“
„Ja?“
„Gibst du mir noch ein Bier?“
„Klar, mein Freund. Hier!“