Wie sich alles wandelt

Auf dem Nachhauseweg bin ich an meiner ehemaligen Hausbank vorbeigekommen, die ich längst für eine Direktbank verlassen hatte."

Ab und zu hob ich dort noch Geld ab, doch ansonsten interessierte ich mich nur für die Immobilieninserate, die in den Schaufenstern aushingen, wenn mein Weg mich zufällig daran vorbeiführte.

Auch an jenem Tag warf ich wieder einen Blick auf die angebotenen Wohnungen und Häuser.

Nicht, dass ich mir irgendetwas davon hätte kaufen können, aber sich vor Augen zu führen, was man sich nicht leisten kann, ist besser als Geld auszugeben, das man nicht hat.

Da war ein Einfamilienhaus in guter Ortslage inseriert. Preis: 1,15 Millionen.

Das war noch eines der besseren Angebote.

Was nicht im Inserat stand: Wie viel Geld man zusätzlich in die Sanierung der Bude stecken müsste.

Am Schaufenster um die Ecke besah ein Pärchen ebenfalls die Aushänge.

Sie waren vielleicht Mitte 30, im Heiratsalter, bereit für Kinder und Nestbau.

Er arbeitete wahrscheinlich bei einem der Automobilzulieferer und sie war Lehrerin.

Das sagte zumindest ihr Äußeres.

Es war unmöglich, sie nicht zu belauschen, so lautstark, wie sie miteinander sprachen.

Scheinbar wollte sie unbedingt ein Haus kaufen, doch er erwiderte nur die ganze Zeit: „Wir können uns das nicht leisten.“

Aus irgendeinem Grund musste ich in diesem Moment an meine Kindheit zurückdenken, als einer meiner Klassenkameraden in der Grundschule mit seinen Zukunftsplänen geprahlt hatte.

Er wollte zur Polizei gehen.

Dort konnte man 50.000 Euro im Jahr verdienen, erzählte er damals großspurig.

Uns anderen sackte die Kinnlade bis auf die Klettverschlussschuhe.

Der Kerl hatte das Spiel des Lebens durchgespielt, bevor er überhaupt über Los gegangen war.

Unmöglich, dass jemand so viel Geld besitzen könnte.

Damals galt man noch etwas, wenn man 2 Euro in der Tasche hatte.

Als es dann Richtung Studium ging, konnte ich über diese Vorstellung von „reich“ nur noch schmunzeln.

Jetzt sprach jeder davon, dass man später mal mehr als 100.000 Euro verdienen müsste, um gut über die Runden zu kommen und dass das nur mit dem richtigen Abschluss umsetzbar war.

„1,2 Millionen für 6 Zimmer?!“, rief der Typ ungläubig.

„Nicht mal, wenn ich 150.000 Euro im Jahr verdienen würde, könnten wir uns das leisten.“

Frustriert machte er kehrt und lief davon, sie folgte einen Moment später, holte auf und begann die Diskussion erneut.

Ich hörte zu, bis die beiden ums Eck verschwunden waren.

Dann stöberte ich noch ein wenig.

Eine Einzimmerwohnung für 238.000 Euro verpasste mir den Rest.

Ich wandte mich vom Schaufenster ab und lief Richtung Busbahnhof.

Vorne an der Eisdiele blieb ich stehen.

Aus irgendeinem Grund verlangte mein Gehirn nach einem schnellen Kick und die billigste und schnellste Option, diesen zu bekommen, war ein Eis.

Vor mir in der Schlange sah ich zwei bekannte Gesichter.

Das Pärchen, das sich kein Eigenheim leisten konnte, diskutierte jetzt nicht mehr über Häuserpreise, sondern über Eisgeschmäcker.

Als die beiden an der Reihe waren, bestellten sie fünf Kugeln Eis.

Vier für ihn und eine für sie.

Jetzt, wo er das Haus nicht abstottern musste, konnte er die ganze Eisdiele leerkaufen.

Ich ließ sie ziehen mit ihrem Eis und bestellte je eine Kugel Schoko und Vanille.

Dann setzte ich mich auf eine Bank am Flüsschen und freute mich, dass wenigstens der Eisdielenbesitzer von den horrenden Häuserpreisen profitierte.

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Von Lukas Böhl

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