Die verlorene Weihnachtsmütze – Eine Weihnachtsgeschichte

Es war der zweite Tag der Weihnachtsferien."

Noch dreimal schlafen, dann war Heiligabend.

Jan und Maxi lagen auf der Wiese hinter der Schule und machten Schneeengel.

Seit Jahren hatte es zu Beginn der Weihnachtsferien mal wieder geschneit, und die Jungs hatten bisher jede Gelegenheit genutzt, um rauszugehen.

Sie hatten sich Schneeballschlachten mit den anderen Jungs geliefert, Schneemänner gebaut, ihre Namen in den Schnee gepinkelt, waren den kleinen Hügel am Waldrand stundenlang mit ihren Schlitten runtergerutscht und hatten Schneeengel in jede unberührte Freifläche gemacht.

Nun lagen sie auf dem Rücken und starrten in den Himmel.

Weiße, watteartige Wolken bedeckten das gesamte Sichtfeld.

„Sieht aus wie Schnee“, stellte Maxi fest.

„Wie in einem Iglu!“, pflichtete Jan bei.

„Wir sollten eins bauen“, schlug Maxi vor, ganz verwundert darüber, dass sie das noch nicht gemacht hatten.

„Später“, sagte Jan und gähnte.

„Was machen wir dann?“, wollte Maxi wissen, der nie lange nichts tun konnte.

„Wir könnten in den Wald gehen und den Schnee von den Bäumen schütteln“, schlug Jan vor, der müde von den Abenteuern der letzten Tage war.

„Ok.“

Die beiden stapften los über den Bolzplatz.

Um auf die Felder zu kommen, die vor dem Wald lagen, gingen sie über den Spielplatz neben dem Kindergarten.

Dort warfen sie Schneemänner um, die von ein paar jüngeren Kindern gebaut worden waren.

Auf dem Feldweg angekommen, gingen sie quer über das Feld hinweg.

Denn dort lag der Schnee noch fast unberührt da.

Sie liebten das Knarzen, das er machte, wenn man ihn niedertrat.

Auf der anderen Seite des Feldes stand eine Reihe von Bäumen und Sträuchern, die durch einen Zugang für die Maschinen des Bauers unterbrochen wurde.

Darauf steuerten die zwei zu.

Immer wieder bewarfen sie sich auf dem Weg mit Schneebällen.

Und so dauerte es fast eine Viertelstunde, bis sie das Feld überquert hatten.

An der Baumreihe angekommen, machten sie kurz Rast.

Während Maxi erneut seinen Namen pinkelte, aß Jan etwas weiter weg einen Klumpen Schnee gegen den Durst.

Dabei fiel ihm ein Stück roter Stoff auf, das dort in den Ästen der Sträucher auf der anderen Seite hing.

„He!“, rief er Maxi zu, „Schau mal da!“

Maxi hob den Kopf: „Was ist das?“

„Weiß nicht. Lass uns kucken.“

Maxi schob die Hose hoch und die beiden trotteten los.

Als sie aus dem Gebüsch hervortraten, war sofort klar, was dort in den Ästen hing.

Es war eine rote Bommelmütze mit weißem Plüschbesatz.

„Eine Weihnachtsmütze!“, brüllten die beiden fast synchron.

Die Mütze hing zu hoch für die beiden, um danach greifen zu können.

Deshalb rüttelten sie gemeinsam an dem Busch, an dessen Ästen sie hing.

Doch sie hatte sich verhakt.

Ohne sich anzusehen, gingen die beiden los und suchten im Unterholz nach einem langen Ast.

Es war Maxi, der zuerst fündig wurde.

Selbst mit dem Ast musste er sich auf die Zehenspitzen stellen, um an die Mütze hinzureichen.

Erst nach dem vierten Versuch bekam er sie zu fassen, schob sie vom Ast und sah ihr zu, wie sie nach unten segelte, wo Jan sie auffing.

Neugierig beäugten sie das Fundstück.

Eine echte Sensation, so viel war klar.

Wenn das die anderen Jungs nach den Ferien hören, wird aber was los sein.

Die Mütze war nichts Besonderes.

Es war eine dieser Mützen, die jetzt überall in den Läden angeboten wurden.

Wobei diese hier von etwas besserer Qualität war.

Spannender als die Mütze selbst war ihr ungewöhnlicher Fundort.

Wer hatte sie verloren?

Und wie war sie dort in die Äste gelangt?

Sofort gingen die Spekulationen los.

„Die ist vom Himmel gefallen.“

„Der Weihnachtsmann ist mit dem Schlitten hier den Weg runtergefahren, und seine Mütze ist an dem Ast hängengeblieben.“

„Jemand hat sie dem Weihnachtsmann geklaut und dann hier ins Gebüsch geworfen, damit er sie nicht mehr finden kann.“

Und so ging es eine Weile zwischen den beiden hin und her.

Wie die Mütze nun dort gelandet war, darüber konnten sie sich nicht einig werden, doch eines stand fest: Sie gehörte dem Weihnachtsmann.

Wenn also die Mütze des Weihnachtsmanns hier hing, muss er höchstpersönlich hier gewesen sein und hielt sich vielleicht noch in der Nähe auf.

Wie zwei kleine Detektive suchten Jan und Maxi die Umgebung nach Spuren ab.

Zu ihrem Pech war der Feldweg jedoch geräumt worden.

Und so war es unmöglich, die Spuren des Schlittens ausfindig zu machen.

Sie gingen den Weg einige Meter auf und ab.

Hielten nach jeder möglichen Route Ausschau, die der Weihnachtsmann mit seinem Gefährt hätte nehmen können.

Schließlich standen sie am Waldrand.

Dort führte der Weg recht steil nach unten zwischen die Bäume.

Genau dort waren im Schnee die Spuren von großen Stiefeln zu sehen.

Jan und Maxi schauten sich an: „Gefunden!“

Sie folgten den Spuren bergab.

Nach wenigen Metern führten die Fußabtritte weg vom Hauptweg in einen kleineren Pfad in den Wald hinein.

„Den Weg kenn ich“, erklärte Jan stolz.

„Ich auch, du Dummi“, erwiderte Maxi.

„Den sind wir letztes Jahr mit Frau Eberbrecht gegangen. Das ist so ein alter Baumschulweg.“

„Baumlehrpfad heißt das, du Blödi“, korrigierte ihn Jan.

Hätte die Abenteuerlust nicht überwogen, hätten die beiden sich in diesem Moment wahrscheinlich in den Schnee geworfen und gerauft.

Stattdessen rissen sie sich zusammen und folgten weiter den Spuren.

Zu ihrem Glück waren es die einzigen Spuren im Schnee.

Und so war es leicht, ihnen zu folgen.

Der Weg führte erst geradeaus durch den Wald, dann wurde er immer schmaler, schlängelte sich an einer kleinen Schlucht vorbei und mündete irgendwann wieder in einen Forstweg, der sich kurze Zeit später aufteilte.

Dort führten die Spuren nach links weiter in den Wald hinein.

Es ging nun bergauf.

Jan und Maxi kamen ins Schnaufen.

In ihren Schneeanzügen war das Laufen durch den hohen Schnee ganz schön anstrengend.

Mittlerweile kannten sich die beiden auch nicht mehr aus.

Der Baumlehrpfad wäre vorhin an der Abzweigung nach rechts weitergegangen.

Je tiefer die beiden in den Wald hineingingen, desto mulmiger wurde ihnen zumute.

Immer wieder fiel irgendwo Schnee von den Ästen und ließ die beiden aufschrecken.

Ab und zu hörte man ein Rascheln im Gebüsch.

Und dann gab es Momente, in denen es vollkommen still war.

Nicht mal mehr die Straße im Tal war zu hören.

Plötzlich bewegte sich rechts von ihnen etwas im Wald.

Erst Bewegung, dann ein Geräusch.

Eine Art Grunzen.

Den beiden blieb das Herz in der Brust stehen.

Für einen Augenblick waren sie wie gelähmt.

Dann rannten sie schreiend los.

Sie rannten und schrien und drehten sich kein einziges Mal um.

An einer Weggabelung rannten sie instinktiv nach oben.

Der Weg führte wieder zurück auf einen größeren Forstweg.

Dort hielten sie sich geradeaus.

Irgendwann stießen sie erneut auf den alten Baumlehrpfad und Maxi, der einige Schritte vor Jan rannte, rief seinem Kumpel zu: „Da lang!“

Der Weg verjüngte sich zu einem schmalen Pfad, der sich in Kurven durch den Wald zog.

Keiner von beiden wusste, wie lange sie schon gelaufen waren, aber sie schnauften und keuchten so sehr, dass ihnen klar war, dass sie bald Pause machen mussten.

Nachdem sie noch eine Weile gerannt waren, tauchte vor ihnen ein Jägersitz auf.

„Da!“, schrie Maxi, der immer noch vorausrannte.

Einen Augenblick später kletterten sie die schmale Holzleiter nach oben.

Zu zweit hievten sie die Luke hoch, die ins Innere führte, zogen sich hoch, ließen die Klappe zuknallen und stemmten ihre kleinen Füße darauf.

Dann ließen sie sich auf die Bank des Jägers plumpsen und rangen nach Luft.

Noch nie im Leben hatten die beiden so viel Angst gehabt.

Dazu hätte keiner von ihnen geahnt, dass sie so schnell rennen konnten, und das mit Schneeanzug über eine fast 10 cm dicke Schneedecke.

Weder Jan noch Maxi konnte ein Wort sagen.

Ihre Lungen taten weh, die kalte Luft brannte beim Einatmen.

Nachdem sie eine Weile nur so dagesessen hatten, schauten sie sich an.

Ihre schmerzverzerrten Gesichter änderten langsam den Ausdruck, und mit einem Mal begannen die beiden wie verrückt zu lachen.

„Du Feigling!“, warf Jan Maxi an den Kopf.

„Hast du dir in die Hose gekackt? Es stinkt so hier“, konterte Maxi.

Keiner wollte zugeben, dass er Angst gehabt hatte.

Sie schoben sich die Schuld für die plötzliche Panik vorhin gegenseitig in die Schuhe.

Beide beharrten darauf, nur losgelaufen zu sein, weil der andere ihn durch seine Angst angesteckt hatte.

Irgendwann waren sich die Jungs nicht mal mehr sicher, ob da überhaupt ein Geräusch im Wald gewesen war oder ob ihnen ihre Fantasie einen Streich gespielt hatte.

Jedenfalls vertrieb die gute Laune die Angst nach und nach.

Ihr Mut kehrte zurück, und sie lugten zum ersten Mal aus dem Jägersitz heraus.

In ihrer Panik vorhin hatten sie gar nicht gemerkt, dass sie bereits am Waldrand angekommen waren.

Der Jägersitz stand zwar noch im Dickicht, doch der Ausguck oben ragte heraus und überblickte ein paar Äcker und eine Wiese.

Zu ihrer Rechten endete der Forstweg in einen asphaltierten Weg.

Dort standen unter zwei Linden eine kleine Bank und ein Jesuskreuz.

In der Ferne sah man den Wasserturm des Dorfes auf dem Hügel.

Die beiden waren erleichtert, dass sie es aus dem Wald herausgeschafft hatten.

Nachdem sie sich noch einmal versichert hatten, dass ihnen nichts oder niemand gefolgt war, kletterten sie aus ihrem Versteck heraus und liefen die letzten paar Meter aus dem Wald heraus.

Der Entfernung zum Wasserturm nach zu urteilen waren sie noch nie so weit vom Dorf weg gewesen.

Doch zumindest wussten sie jetzt, in welche Richtung sie gehen mussten, um zurückzukommen.

Sie waren schon dabei, den Rückweg anzutreten, als sie das Geräusch einer Motorsäge hörten.

Sie drehten sich um und sahen, dass hinter ihnen fünf oder sechs Hütten am Waldrand standen.

Sie waren alle baugleich und sahen aus wie Landwirtschaftsspeicher oder so etwas.

Von dort kam auch das Sägegeräusch.

Sofort waren sie sich einig, dass man sich das genauer anschauen musste.

Jan entdeckte einen kleinen Pfad, der hinter den Hütten durch den Wald führte, und schlug vor, diesen zu nehmen, statt auf dem Feldweg entlangzugehen.

Gesagt, getan.

Kurze Zeit später standen die beiden hinter einer Tanne und beobachteten die Hütten.

Alle bis auf eine waren verschlossen.

Dort, wo das Tor offenstand, hörte man die Motorsäge röhren.

Nach einer Weile schlug Maxi vor, sich anzuschleichen und einen Blick ins Innere zu werfen.

Doch Jan wollte nicht.

Es entfachte ein Streit zwischen den beiden.

Plötzlich trat jemand aus der Hütte und hustete.

Jan und Maxi hielten instinktiv den Mund.

Sie rollten die Finger ein und sahen wie durch ein Fernglas hindurch.

Da stand ein dicker, alter Mann mit weißem Rauschebart, der sich die Nase putzte.

Er trug zwar kein rotes Gewand, doch für die Jungs war klar, wer das war.

Sie hatten sein Versteck gefunden!

Aufgeregt versuchten die beiden zu klären, wie sie ihn ansprechen sollten.

So ins Gespräch versunken merkten sie gar nicht, dass der dicke Mann das Tor seiner Hütte zugezogen und sich in den Wagen gesetzt hatte.

Erst als der Motor des kleinen Geländewagens ansprang, sahen sie auf.

Sofort rannten sie los.

Denn für das Auto gab es nur eine Möglichkeit, um von hier wegzukommen.

Und von ihrer Position aus waren sie viel schneller zurück auf dem Feldweg.

Tatsächlich waren sie einige Sekunden vor dem Wagen auf Position.

Sie sahen ihn den Feldweg entlangfahren und stellten sich ihm in die Quere, die Hände als Stoppschild vor sich ausgestreckt.

Der alte Mann verzog verwundert das Gesicht, hielt an und ließ das Fenster herunter.

„Na, wer seid ihr denn? Ist das hier eine Polizeikontrolle?“

Maxi und Jan sahen sich verwirrt an.

Dann zog Maxi die Weihnachtsmütze aus der Tasche und ging ans Fenster.

Er hob sie dem Mann direkt vor die Nase.

„Die hast du verloren!“, sagte er, seinen ganzen Mut zusammennehmend.

Jan stellte sich daneben und nickte.

Der Mann blickte zwischen der Mütze und den Jungs hin und her.

Erst verstand er nicht, doch dann dämmerte ihm, was die beiden von ihm wollten.

Er begann laut zu lachen.

Er lachte aus voller Kehle, sodass die Jungs auch lachen mussten, obwohl sie nicht wussten, was so lustig war.

Als der Mann sich wieder eingekriegt hatte, sagte er: „Die Mütze hab ich schon schrecklich vermisst. Wie schön, dass ihr sie gefunden habt.“

Maxi streckte sie ihm hin, und der Mann nahm sie ins Auto.

Dann kramte er im Handschuhfach seines Wagens, wurde fündig und sagte mit einem Lächeln: „Als Finderlohn bekommt jeder von euch einen Schokoriegel.“

Jan und Maxi nahmen die Schokoriegel.

Doch sie sahen den Mann weiterhin erwartungsvoll an.

Schließlich platzte es aus beiden fast zeitgleich heraus: „Und dieses Jahr wollen wir zu Weihnachten ganz viele Geschenke.“

„Als Finderlohn“, schob Maxi hinterher.

„Weil wir die Mütze gefunden haben“, pflichtete ihm Jan bei.

Wieder musste der Mann aus voller Kehle lachen.

„Ich verrate euch was. Aber das dürft ihr keinem sonst erzählen. Versprochen?“

„Versprochen.“

„Und nicht gebrochen.“

„In der Hütte da drüben lagern die Weihnachtsgeschenke für alle Kinder im Dorf. Aber für euch zwei werde ich dieses Jahr welche oben drauflegen.“

Aus den Jungs brach ein triumphierendes Freudengeschrei hervor.

Ihr Abenteuer hatte sich also gelohnt.

„Soll ich euch beide nach Hause fahren?“

„Ne, wir steigen nicht zu Fremden ins Auto.“

Der Weihnachtsmann sah so aus, als wollte er etwas sagen.

Doch dann lachte er nur wieder.

Er bedankte sich noch einmal für die Mütze, versprach, dass die beiden dieses Jahr wirklich mehr Geschenke als ihre Klassenkameraden bekommen würden, und fuhr lachend und winkend davon.

Jan und Maxi liefen nun ebenfalls glücklich und schmatzend in Richtung Zuhause.

Fest davon überzeugt, dass sie gerade eben den Weihnachtsmann gesehen hatten.

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Von Lukas Böhl

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