Die Schulglocke läutete ein letztes Mal vor den Osterferien. Jan und Maxi waren die ersten, die aus dem Klassenzimmer flüchteten. Endlich frei, wenn auch nur für zwei Wochen. Die beiden Freunde liefen nicht sofort nach Hause, sondern setzten sich noch auf das Klettergerüst auf dem Schulhof, um die Frühlingssonne aufzusaugen. Und so kamen sie ins Grübeln.
„Wenn der Osterhase Eier legt, warum legen dann meine Kaninchen keine Eier?“, begann Jan einen Gedanken zu formulieren, der ihn schon eine ganze Weile beschäftigt hatte.
„Na, weil das Zuchtkaninchen sind. Denen hat man das Eierlegen verboten“, gab Maxi zur Antwort.
„Wie soll das denn funktionieren? Ich hab gesehen, wie die Babys zur Welt kommen. Das kann man doch nicht so ändern.“
„Dann legen vielleicht nur wilde Hasen Eier.“
„Hast du schon mal Haseneier gesehen?“
„Na, klar. Jedes Mal an Ostern.“
„Aber im Wald oder so, meine ich.“
„Nö, da hab ich noch nie Haseneier gesehen.“
„Dann gehen wir nachher in den Wald und suchen welche.“
„Ok, wir treffen uns um 15 Uhr beim Spielplatz vor dem Kindergarten.“
„Gut, bis später.“
Punkt 15 Uhr stand Jan mit einem Rucksack voller Sachen für die Eiersuche vor der Rutsche auf dem Spielplatz. Er hatte ein kleines Fernglas, eine Lupe, einen Greifstock und ein Taschenmesser dabei. Außerdem noch zwei Flaschen Wasser für ihn und Maxi. Der kam gerade angelaufen, allerdings ohne Ausrüstung.
„Was hast’n da dabei?“, wollte Maxi wissen.
„Ach, nur son bisschen Zeug für die Suche.“
„Okay.“
Die beiden machten sich auf den Weg. Erst über die Felder, dann über eine große Wiese und schließlich in den Wald hinein. Dort vermuteten sie die wilden, eierlegenden Hasen, nach denen sie suchten. Doch die Suche gestaltete sich als äußert schwierig. Sie schoben Sträucher zur Seite, hoben schwere Steine vom Boden, buddelten Mäuselöcher auf und schauten sogar zwischen den gefällten Bäumen, die am Wegrand lagen. Nirgends fand sich auch nur einziges Ei. Ja, nicht einmal eine Spur von einem Hasen hatten sie entdeckt.
„Du, Maxi. Wo wohnen Hasen eigentlich?“
„Na, im Wald.“
„Aber hier sind doch keine Hasen.“
„Vielleicht müssen wir noch tiefer rein.“
„Vielleicht. Wohnen Hasen nicht in Löchern im Boden?“
„Stimmt. Wir müssen nach den Eingängen Ausschau halten.“
Und so verließen die beiden Jungs den Forstweg und liefen querfeldein in den Wald. Dieses Mal richteten sie ihre Blicke vor allem auf den Waldboden, wo sie die Eingänge zu den Höhlen der Hasen vermuteten. Da ihr Heimatdorf auf einem Hügel lag, kamen sie irgendwann an einen Hang. Dort kletterten sie vorsichtig hinunter, während sie die ganze Zeit links und rechts von sich nach Hasenbauten spähten. Plötzlich rief Jan ganz aufgeregt: „Da drüben ist was!“
Maxi sah es auch. Etwas oberhalb am Hang befand sich tatsächlich der Eingang zu einem Tierbau. Sofort stürmten die beiden los. Als sie angekommen waren, knieten sie sich vor die kleine Höhle und lugten hinein. Jan holte eine Taschenlampe aus dem Rucksack, um ins Innere zu leuchten. Man konnte allerdings nicht viel erkennen, da der Bau schon nach wenigen Zentimetern eine Biegung nach rechts machte. Auch wenn der Eingang recht groß war, die Jungs konnten sich nicht hindurchquetschen.
Sie gingen ihre Optionen durch. Man könnte die Hasen mit Gras und Löwenzahn herauslocken, schlug Maxi vor. Jan wiederum war dafür, einen langen Stock ins Innere des Baus zu schieben, um die Bewohner herauszutreiben. Da die beiden aber eigentlich die Eier und nicht die Hasen sehen wollten, wurden beide Vorschläge verworfen. Und so überlegten die Jungs noch eine ganze Weile, bis sie irgendwann auf die Idee kamen, den Bau auszubuddeln. Schnell waren zwei stabile Stöcke gefunden, mit denen man die Erde beiseite schaffen konnte, um den Bau nach und nach freizulegen.
Und so begannen sie die mühevolle Aufgabe. Mit den Stöcken kamen sie kaum voran. Nur langsam schafften sie die Erdmassen weg. Doch die Neugierde war größer als die Erschöpfung. Es dauerte gute zwei Stunden, bis sie einen nennenswerten Fortschritt gemacht hatten. Sie hatten sich nun bis zu der Biegung vorgearbeitet, die sie vorhin durch den Eingang gesehen hatten. Der Bau zog sich von hier noch ein kurzes Stück in den Hang hinein, doch sie konnten das Ende schon sehen.
„Ihh, das stinkt“, bemerkte Maxi irgendwann, als sie dem Ende des Tunnels näherkamen. Und auch Jan roch es. Der Geruch erinnerte sie mehr an die Gehege der Raubtiere im Stuttgarter Zoo als an den der Ställe von Jans Kaninchen. Abgesehen davon waren sie jetzt so weit vorgedrungen, dass sie das vermeintliche Hasennest sehen konnten. Dort lagen zu ihrer großen Enttäuschung aber keine Eier. Dafür ein paar kleine Knochen und etwas rötliches Fell. Müde ließen sich die beiden auf ihre Hintern plumpsen und nahmen jeder einen großen Schluck Wasser. Die ganze Arbeit war umsonst gewesen, dachten sie. Drei Stunden Arbeit für nichts. Wie sollten sie jetzt beweisen, dass Hasen Eier legen?
Es war Jan, der irgendwann die Frage aller Fragen stellte: „Was ist, wenn Hasen gar keine Eier legen?“ Maxi schaute ihn mit einem Blick an, der genau dieselbe Frage zu stellen schien. Eine Weile schwiegen die beiden und starrten ins Tal hinunter auf die Straße, den Fluss und die Stadt. Doch dann packte sie die Abenteuerlust wieder. Ziemlich zeitgleich sprangen die beiden auf, wischten sich den Dreck von den Hosen und machten sich wieder auf. Mit dem Greifstock von Jan und einem Ast durchwühlten die beiden das Laub.
Möglicherweise legten die Hasen ihre Eier ja nicht in den Bauten ab, sondern über der Erde. Um die Raubtiere zu überlisten. Inzwischen stand die Sonne schon tief am Himmel und es wurde kühler im Wald. Viel Zeit blieb den beiden nicht mehr. Mit gesenktem Blick stapften die Jungs nun wieder hangaufwärts Richtung Dorf zurück. Auch wenn sie nicht mehr so aufmerksam den Boden absuchten, schoben sie weiterhin das Laub vor sich beiseite. Als sie schon fast wieder aus dem Wald draußen waren, schrie Maxi, der einige Schritte hinter Jan hergelaufen war, plötzlich vor Freude auf.
Sofort drehte sich Jan um und lief zu ihm. Maxi hielt ein kleines grünliches Ei mit schwarzen Punkten darauf in der Hand. „Das lag da neben dem Baum“, erklärte Maxi aufgeregt. Die Jungs fielen sich in die Arme und sprangen vergnügt im Kreis. Endlich hatten sie den Beweis. Zudem war das Ei klein genug, um von einem Hasen zu stammen. Dass es sich dabei um das Ei eines anderen Tieres handeln könnte, kam ihnen in diesem Moment gar nicht in den Sinn. Die beiden rannten, was das Zeug hielt. Sie hofften, auf dem Spielplatz noch ihre Freunde anzutreffen, um ihnen den Beweis für den Osterhasen zu zeigen. Alles andere war unwichtig.
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