Wieder ein Mensch sein

Der Kilometerstand auf dem Tacho kletterte weiter nach oben."

Seit heute Morgen mussten einige Hundert Kilometer dazugekommen sein.

Wie viele es waren, konnte er nicht sagen.

Er konnte sich nicht einmal an sie erinnern.

Sie waren vorbeigeflogen wie Blätter im Wind.

Die Ortschaften, durch die ihn die Straßen geführt hatten, waren so austauschbar wie seine Gedanken.

Alles, was er wusste, war, dass er heute Morgen ins Auto gestiegen und einfach losgefahren war.

Nur zum Tanken und Pinkeln hatte er ab und zu angehalten.

Vielleicht zwei- oder dreimal? Er hatte keine Ahnung.

Die Sonne war mit ihm gewandert, hing jetzt tief am Himmel.

Die Nacht hielt ihn nicht auf.

Er fuhr hindurch wie durch einen endlos langen Tunnel.

Irgendwann war auch sie vorbei, besiegt.

Der Morgen kam, die Kilometer gingen.

Irgendwann die Berge.

Es ging aufwärts.

Das Auto leistete gute Dienste, nur der Körper wurde langsam müde.

Eine Pause an einem Rasthof mit Aussicht ins Tal.

Dort war ein See.

Auf den Gipfeln lag noch Schnee.

Am Himmel zogen Flieger dahin.

Sie erinnerten ihn daran, was zu tun war.

Bis zum Abend war er in Wien.

Dort steuerte er direkt den Flughafen an.

Das Auto stellte er in einem Parkhaus ab.

Dann kaufte er mehrere Flugtickets.

Und in den Geschäften hinter der Sicherheitskontrolle deckte er sich mit dem Nötigsten für die Reise ein.

Endstation: Australien.

Die Reise war zäh.

Er hatte nicht mehr die Macht über die Kilometer.

Jetzt saß ein anderer am Steuer.

Nach drei Tagen und mehreren Zwischenstopps kam er in Sydney an.

Dort holte er sich direkt einen Mietwagen und fuhr los.

Landeinwärts, wo nichts mehr war außer Wüste.

Als er weit genug ins Landesinnere vorgedrungen war, holte er sein Handy aus der Tasche.

Es war tot, kein Empfang.

Seit Wien hatte es schon keinen Zweck mehr erfüllt.

Dennoch hatten sich die verpassten Anrufe und Nachrichten bereits in Europa angestaut.

Auf nichts davon hatte er reagiert.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, warf er das Gerät aus dem offenen Fenster.

Jetzt war er wieder er selbst, war wieder ein Mensch.

Freiheit!

Erst murmelte er das Wort nur, dann sagte er es immer lauter, bis er schrie.

Immer wieder.

Freiheit, Freiheit, Freiheit!

Dann gab er Gas, und die Wüste nahm ihn auf.

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Von Lukas Böhl

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