Ein dummer Zufall

Ein fremder Typ läuft in eine Bar und sieht diesen anderen Kerl, ein Stammgast, ein Trinker. Er hockt sich zu ihm an den Tresen, winkt dem Kellner zu und bestellt ein Bier. Der andere bemerkt ihn gar nicht. Er hängt über seiner Flasche wie ein Baby, das beim Brustfüttern eingeschlafen ist und zählt die Wasserflecken auf dem Tresen. Der Kellner bringt das Bier und fragt den Fremden, ob er von hier sei, er habe ihn noch nie gesehen. Der Fremde verneint und schweigt, sodass der Kellner sich wieder zurückzieht und die Gläser putzt.

Es sind kaum Gäste anwesend, aus einem abgetrennten Bereich hört man Münzen in einen Automaten fallen, dann das widerholte, schnelle Tippen auf einen Knopf. In der Ecke hinten hocken zwei Gestalten und flüstern. Von draußen bekommt man nichts mit, die Türen und Fenster sind geschlossen. Nur ein wenig Tageslicht gelangt ins Innere. Es ist schwül und stickig. Der Trinker zieht die Nase hoch und regt sich, wälzt seinen Kopf auf seinen Arm und verstummt wieder.

Eine Fliege landet auf seinem Kopf und erkundet seine Halbglatze. Der Fremde bemerkt das und hebt vorsichtig die Hand vom Glas. Der Kellner sieht auf und sieht den Fremden die Hand heben. Er schaut ihm neugierig zu. Der Trinker liegt wie tot auf dem Tresen und bekommt von alledem nichts mit. Langsam bewegt sich die Hand des Fremden zum Kopf des Trinkers hin. Der Kellner macht ein zischendes Geräusch mit dem Mund, schüttelt den Kopf und wackelt mahnend mit dem Zeigefinger.

Ohne ihn zu beachten, führt der Fremde seine Hand in die unmittelbare Nähe des Kopfes des Trinkers, hebt die Hand, atmet kurz durch und führt eine blitzschnelle Bewegung aus mit der er die Fliege vom Kopf des Trinkers wegschnappt. Er hält die geschlossene Faust vor sich hin und grinst. Plötzlich rührt sich der Trinker, rafft sich auf und sieht den Fremden an. Warum er das getan habe, will er wissen.

Weil er die Fliege schnappen wollte, erwidert dieser. Welche Fliege, möchte der Trinker von ihm wissen. Die Fliege in seiner Hand, teilt ihm der Fremde mit. Der Trinker sieht ihn grimmig an. Wenn dort keine Fliege in seiner Hand ist, beginnt er lallend zu drohen, werde er ihn umbringen. Der Fremde grinst ihn gelassen an und versichert ihm, die Fliege sei in seiner Hand. Er könne sie ihm aber nicht zeigen, weil sie sonst davonfliegen würde und er ihn dann umbringen müsste.

Der Trinker wird rot, Blut steigt ihm in den Kopf. Er würde ihn nur umbringen, wenn dort keine Fliege in seiner Hand sei. Würde die Fliege aber davonfliegen und er es sehen, so wäre das Beweis genug, legt er ihm lallend auseinander. Die zwei Gestalten in der Ecke heben die Köpfe und hören zu. Der Kellner schaut verunsichert hinter seinen Gläsern hervor. Im Separee hört man weitere Münzen in den Automaten fallen.

Er könne ihm nicht trauen, sagt der Fremde schließlich. Der Trinker wird immer röter im Kopf, auf seiner Stirn zeichnen sich deutlich die Adern ab. Er plustert sich auf und will etwas sagen, als der Kellner dazwischen geht und die Streithähne zu beschwichtigen versucht. Er habe die Fliege auch gesehen, versichert er dem Trinker und bittet den Fremden höflich, sie nun endlich preiszugeben. Dieser verneint vehement und beharrt darauf, dass der Trinker ihn dann umbringe.

Die zwei Gestalten in der Ecke beginnen wieder zu flüstern, verfolgen aber weiterhin das Geschehen an der Bar. Der Trinker, jetzt völlig außer sich, schreit den Fremden an, er solle die Hand auf den Tisch legen und sie öffnen. Seinem Befehl folgend, legt er zwar die Hand mit der Fliege auf den Tisch, öffnet sie aber nicht. Er drückt die Hand so auf den Tisch, dass die Mücke nun unter seiner Handinnenfläche gefangen ist.

Der Trinker starrt wie von Sinnen auf den Tisch, der Kellner sieht gespannt hin. Plötzlich schnappt der Trinker sich ein scharfes Pizzamesser aus dem Besteckglas und rammt es mit voller Wucht in die Hand des Fremden. Der schreit wie am Spieß, als das Messer durch seine Hand schießt und im Holz stecken bleibt. Er flucht und beschimpft den Trinker, der ihn ungläubig ansieht.

Die beiden Gestalten in der Ecke springen auf, legen Geld auf den Tisch und verschwinden durch den Hintereingang. Das Klicken am Automaten verstummt. Der Kellner läuft zum Telefon. Die Situation ist angespannt, der Trinker wie versteinert, der Fremde zittert und bebt vor Schmerz. Man hört ein Fenster aufgehen und wie jemand im Separee die Flucht ergreift. Aus dem Hinterzimmer ist die aufgeregte Stimme des Kellners zu hören. Er legt auf.

Der Trinker fasst sich an den Kopf und ruft wiederholt aus, was er getan habe. Der Fremde traut sich nicht, das Messer aus seiner Hand zu ziehen und droht jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Der Kellner kommt zurück und sagt, er habe die Polizei und einen Krankenwagen verständigt. Wieso er die Polizei gerufen habe, schnauzt ihn der Trinker an. Weil er so etwas melden müsse, erwidert der Kellner. Welches Gesetz das vorschreibe, will der Trinker wissen. Die beiden werden durch einen schmerzerfüllten Schrei unterbrochen.

Der Fremde ist frei und taumelt umher. Er läuft ins Separee. Der Kellner nimmt ein frisches Handtuch und springt über die Theke, läuft ihm nach. Der Trinker bleibt sitzen und bricht in jammervolles Weinen aus. Im Automatenzimmer taumelt der Fremde umher, will sich setzen und verfehlt einen Stuhl. Er landet mit dem Hintern auf den Knöpfen eines Automaten. Ein Getränk fällt runter und zerbricht. Der Automat, an dem vorhin der Gast gespielt hatte, geht los. Die Zahlen und Früchte drehen sich, während der Fremde zusammensackt.

Der Kellner sieht ihn ängstlich an, dann driftet sein Blick zum Automaten. Seine Augen werden großen. Plötzlich ertönt eine triumphierende Melodie und massenweise Münzen fallen aus dem Automaten direkt auf den Fremden, der unter ihnen begraben wird. Jackpot, ruft der Kellner verwirrt und lässt das Handtuch fallen. Der Trinker erscheint mit verweintem Gesicht in der Tür. Er sieht die Szenerie und beginnt hysterisch zu lachen.

Vorne stürmen zwei Polzisten mit gezogener Waffe in die Bar. Sie sehen das blutige Messer auf dem Tresen liegen. Vorsichtig gehen sie auf das Separee zu, aus dem Stimmen zu hören sind. Der Trinker bemerkt sie zuerst und erschreckt sich so sehr, dass er laut aufschreit. Was er habe, fragt ihn der Kellner und sieht die beiden Polizisten. Unwillkürlich reißt er die Arme in die Luft. Einer der Polizisten kommt ins Separee gelaufen und sieht den am Boden liegenden Fremden, auf den immer noch einzelne Münzen fallen.

Draußen hört man einen Krankenwagen herfahren. Was passiert sei, fragt der Polizist ernst. Der Trinker beginnt wieder zu weinen. Der Kellner senkt langsam die Hände und antwortet nicht. Was passiert sei, wiederholt der Polizist seine Frage mit Nachdruck. Ein dummer Zufall, sagt der Trinker mit weinerlicher Stimme. Sanitäter kommen in die Bar gelaufen. Der andere Polizist lotst sie zu dem Verwundeten. Was passiert sei, fragen sie die Anwesenden. Ein dummer Zufall, bestätigt der Polizist.

Von Lukas Böhl

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