Es ist kompliziert, Mann.
Ich war 30. Berlin, August, 2024. Sie hieß Tammy. Tamara. Aber keiner durfte sie so nennen. Also: Tammy. Ich musste zweimal nachfragen. Meine Gedanken flogen. Ewig auf Tinder geswiped – und da war sie. Unkonventionell, ganz anders als die Stadt. Schön, aber nicht in die Fresse.
Ich schlug Kaffee vor.
Sie war cool damit.
Punkt 15 Uhr saß ich im Good God.
Sie kam später.
Aber als sie kam, war sie da.
Das Café weg, aber sie da. Nur noch sie.
Überhaupt, gab es jemals etwas anderes?
Ich vergaß zu sprechen.
Aber sie konnte reden.
Und sie erzählte. Arbeit nur ein wenig, Leben so ein bisschen, doch viel über Ideen. Wie es sein könnte. Oder warum es nicht so war.
Das gefiel mir.
Weil sonst gab es nur Arbeit. Und Alter. Und Familienwunsch: ja oder nein. Über ihrem Kopf eine fette Gedankenblase. Ich mittendrin, auf Zuckerwatte und high on life.
Zu viel für einen Kerl wie mich.
Natürlich verhielt ich mich daneben.
Ich dachte, sie dachte, dass ich dumm bin. Weil sie immer so schaute und fragte, ob ich noch da bin.
Wo hätte ich sein sollen?
Es war das Ende aller Dinge.
Außer ihr war nichts übrig.
Trotzdem blieb sie.
Ließ mir kleine Chancen, um etwas zu sagen.
Was ich tat.
Sie war nicht die Einzige mit Ideen.
Auch ich machte mir Gedanken. Über das Leben. Und diejenigen, die damit klarkommen müssen.
Vor allem über mich selbst. Mein einziges Fallbeispiel für das menschliche Leiden.
Ich verschwand also in meinen Ausschweifungen.
Sie folgte mir.
Und zusammen wurden wir eins.
Die Zeit flog.
Wir konnten nicht für immer dort bleiben. Es war nur ein Date. Am Ende die Frage:
Gehen wir noch spazieren?
Sie kam mit.
Plötzlich waren wir in Berlin.
In meinem Gehirn kein Platz für die Freaks, den Gestank und die Hässlichkeit.
Tammy schaute, zeigte und erklärte.
Sie war aus Berlin.
Ich nur geduldet.
Wir gelangten an die Spree, kauften Bier an einem kleinen Stand. Die Füße baumelten von der Mauer.
Das Wasser schwarz.
Am Himmel stand die Sonne tief.
Ich wünschte, sie wäre zurückgewandert. Der Tag durfte nicht enden.
Zum Glück war sie noch da.
Spielte Musik auf ihrem Handy, die ich hören musste. Manches gefiel mir, anderes nicht.
Tammy war artsy.
Sie trug so ein Kifferladenkleid und braune Einriemersandalen.
Ihr Haar war schwarz, ihr Gesicht schmal und schön.
Außerdem hatte sie einige ausgewählte Tattoos.
Die Linien fein. Die Motive waren spiritueller Natur.
Dagegen war ich ziemlich langweilig mit meinem nackten Körper, schwarzen Shorts und weißem Shirt.
Trotzdem war der Vibe da.
Und dann passierte das Unmögliche.
Wir saßen da, die Sonne küsste langsam die Ränder der Stadt, und alles war in diesem perfekten Dämmerzustand. Tammy lachte über irgendwas, was ich gesagt hatte – vermutlich unbeabsichtigt komisch – und ich spürte diesen kurzen Moment der Unsterblichkeit. Diese Millisekunde, in der man denkt:
Jetzt müsste man einfach sterben, weil besser wird’s nicht.
Und plötzlich tat sie etwas Seltsames.
Sie stand auf, barfuß, ließ ihre Sandalen einfach auf der Mauer liegen, ging drei Schritte zurück und rief:
„Warte hier. Ich hol was.“
Ich nickte. Wie ein dressierter Hund. Klar, ich wartete.
Sie verschwand hinter dem kleinen Kiosk. Zwei Minuten. Fünf.
Sie kam nicht wieder.
Ich dachte erst, sie holt Zigaretten oder vielleicht noch ein Bier. Dann dachte ich, sie ist auf Toilette.
Dann dachte ich: Sie hat mich einfach sitzen lassen.
Aber da war noch ihr Handy.
Lag neben mir.
Display nach oben. Musik aus.
Ich hob es hoch, entsperrte es – kein Code.
Nur ein einziger Screen. Eine Notiz-App geöffnet.
Oben stand:
„Für den Fall, dass ich nicht zurückkomme.“
Ich schwöre, mir wurde schwindelig.
Ich scrollte.
Es war ein Brief. An mich. Und irgendwie auch nicht.
Hey. Wenn du das liest, dann bin ich schon weg. Nicht in dem dramatischen Sinn. Kein Drama. Nur… ein Experiment. Ich wollte sehen, wie es ist, kurz aufzutauchen und dann zu verschwinden. Wie ein Gedanke. Wie eine Ahnung von Nähe. Ich hoffe, du erinnerst dich an mich – aber nicht so, wie man sich an verpasste Chancen erinnert. Sondern eher wie an einen Traum, der schöner war, als das Leben erlaubt. Ich habe dich nicht verarscht. Alles war echt. Aber ich wollte nie bleiben. Ich bin sowas wie ein Mensch auf Durchreise. Vielleicht warst du mein Bahnhof. Vielleicht warst du mein Zug. Mach’s gut. Und pass auf dein Herz auf.
Tammy
Ich blieb noch eine Stunde. Vielleicht zwei.
Ich fragte am Kiosk, aber keiner hatte sie gesehen. Keine Kameras. Keine Hinweise.
Tammy war weg.
Kein Insta, kein Tinder mehr, kein WhatsApp-Profilbild.
Sie hatte sich gelöscht. Komplett.
Oder sie war nie richtig da gewesen. Vielleicht ein Engel. Vielleicht verrückt. Vielleicht realer als alles andere.
Ich behielt ihr Handy.
Manchmal schaue ich drauf. Keine Updates, keine SIM-Karte mehr. Nur dieser eine Text. Und ein paar Fotos von mir, die sie anscheinend heimlich gemacht hatte. Ich sehe eigentlich ganz okay aus darauf.
Und ja, ich date wieder.
Ab und zu.
Es ist nicht mehr dasselbe.